Themenschwerpunkt "Mehr Sprachigkeit"

Unsere Erfahrungen (nicht nur) aus der Internationalen Jugendarbeit zeigen: Die Exklusion von Teilnehmenden in Bezug auf Sprache wird sehr oft in Kauf genommen, “weil es gar nicht geht, alles immer für alle zu übersetzen”. Vor allem aus Zeitgründen wird oft hingenommen, dass sich nicht alle Jugendlichen gleichermaßen auf der Arbeitssprache verständlich machen und diese gleichermaßen verstehen können. Dasselbe gilt auch für Fachkräfte, z.B. in Teamsitzungen oder bei Fachtagen. 

Mit den Bildungsangeboten, die wir im Rahmen des Schwerpunktthemas “Mehr Sprachigkeit!” durchführen, regen wir zum kritischen Austausch zu diesem Problem an und entwickeln kreative Lösungsansätze. Nachdem wir bereits im März 2018 eine erste Qualifikation zu diesem Thema durchgeführt hatten, haben wir 2019 an Fahrt aufgenommen: den Auftakt bildeten der Fachtag „Mehr Sprachigkeit!“ mit 60 Teilnehmenden und die Fortbildung „Sprache und Macht“. Es zeigte sich, dass dieses Querschnittsthema für alle Bereiche der Kinder- und Jugendarbeit von hoher Relevanz ist und die von uns angestoßene Netzwerkbildung von vielen als „längst überfällig“ gewertet wurde.

Seither haben wir mit weiteren Veranstaltungen sowie der Koordination des neuen Netzwerkes „Mehr Sprachigkeit!“ aktiv dazu beitragen, eine Wertschätzung der vielfältigen sprachlichen Ressourcen von Kindern und Jugendlichen zu fördern – und zwar sowohl in internationalen Austauschprojekten als auch auch in der pädagogischen Arbeit hier vor Ort. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, das Thema „Sprachgebrauch“ als Bestandteil der Reflexion über die eigene diskriminierungssensible Bildungsarbeit zu verankern.


Warum wir einen wertschätzenden Umgang mit Mehrsprachigkeit fordern:

  • damit alle (Sprachen) zu Wort kommen und gehört bzw. gesehen werden.
  • weil ein umfassendes Verständnis der Fragestellung sowie der Rahmenbedingungen eine Grundvoraussetzung für Partizipation ist.
  • weil Teilhabe nur gelingen kann, wenn die Teilnehmenden die Möglichkeit geboten bekommen, sich in einer Sprache und in einem sprachlichen Register auszudrücken, mit der bzw. dem sie sich wohlfühlen und somit identifizieren.
  • weil Gefühle und Bedürfnisse die Basis für Lernen sind.

 

Wir wünschen uns:

  • dass der Sprachgebrauch ein selbstverständlicher Bestandteil der Reflexion über die eigene, diskriminierungssensible Bildungsarbeit wird. Hiermit ist sowohl der eigene Sprachgebrauch als auch der Gebrauch von Sprache in der Zielgruppe/bei der Zielperson gemeint. Wer spricht (wie)? Warum? Wer spricht nicht? Warum? Wie lassen sich diese Verhältnisse ändern?
  • ein „Language Mainstreaming“: dass “Sprache” als Querschnittsthema und als Diskriminierungsursache nicht nur in der praktischen Arbeit, sondern auch in den Einrichtungen und in der Gesellschaft zentrale Berücksichtigung findet. (Darum auch der fordernde Titel: Mehr Sprachigkeit!)
  • einen Umgang mit Mehrsprachigkeit, der nicht von Misstrauen und Tabuisierung, sondern von Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist. Sprache darf kein Tabu sein.
  • dass das Sprechen über Sprache(n) gegenüber dem Sprechen über „Kultur“ aufgewertet wird. Denn der Kulturbegriff und damit auch die “interkulturelle Kommunikation” bieten viele Fallstricke. Das Potenzial für Veränderung wird hier oft von einem sehr “natürlichen” Kulturbegriff entkräftet.
  • dass der Wert von Sprachen nicht anhand ihrer ökonomischen Verwertbarkeit, sondern anhand ihrer Bedeutung für die Menschen bemessen wird.

 

Für eine transnationale Bildungsarbeit

Um neue Zielgruppen in der (internationalen) Jugendbildung zu erreichen, muss der Sprachgebrauch in diesem Arbeitsbereich (selbst)kritisch reflektiert und erweitert werden. Das Wort Sprache hat hier zwei Bedeutungen: erstens bezieht es sich auf das sprachliche Register (die Art und Weise des Ausdrucks, der genutzten Begriffe, der Ansprache usw.) und zweitens auf die in den Bildungsangeboten zum Einsatz kommenden Familien- und Herkunftssprachen.

Mit unseren Angeboten wollen wir somit auch den Status der “Bildungssprachen” – hier und auch im internationalen Kontext – herausfordern: Wenn in einer bilateralen internationalen Jugendbegegnung viele Familiensprachen aufeinandertreffen, sollten dann nicht all diese Sprachen und nicht nur die “Nationalsprachen” zu Wort kommen (können -> Freiwilligkeit!)? Und somit in den Sprachanimationsmethoden aber auch in den thematischen Workshops Berücksichtigung finden?

Und könnten nicht auch hier in Bremen viel mehr Bildungsangebote auf anderen Sprachen geschaffen werden, die die große Zahl der hier lebenden (jungen) Menschen miteinbeziehen, die nicht oder noch nicht Deutsch auf “bildungssprachlichem” Niveau sprechen, aber ganz viel zu sagen haben?

Nicht zuletzt wirft für uns also die Beschäftigung mit “Mehr Sprachigkeit!” die Frage auf: Wie kann eine transnationale, also nicht nationalstaatlich geprägte Bildungsarbeit aussehen?

Wir freuen uns sehr über Eure und Ihre Ideen zur Weiterentwicklung dieses Arbeitsbereiches. Auch Ideen für eine (Kooperations-)Veranstaltung, die wir in unsere Reihe aufnehmen können, sind sehr willkommen.

Ansprechpartnerin:
Anna Müller
 

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